Erda in Siegfried (Nadine Weissmann)

Die beiden Auftritte von Erda im Ring sind die starken Momente des Dramas und Erda ist, obwohl sie nur für zwei rund zehnminütige Monologe kurz auf der Bühne erscheint, unbestreitbar eine Persönlichkeit. Im Rheingold bringt sie die unerwartete Wendung, indem sie das Ende ankündigt, was sie im Siegfried wiederholt. Sie ist die erste zum Verschwinden verdammte Göttin. Zugleich ist sie eine Figur, die vom Grund der Zeiten und vom Grund der Erde stammt : Mit ihrer tiefen Grabesstimme hinterlässt sie beim Publikum einen bleibenden Eindruck.

All dessen ist sich Castorf vollkommen bewusst, ihre beiden Auftritte sind außerordentlich starke Momente seiner Arbeit. Die Sängerin Nadine Weissmann hilft ihm dabei ; mit ihr hat er eine wirkliche Persönlichkeit und eine „Schnauze“ gefunden. Für Castorf ist Erda zuallererst die alte Gebieterin, die aus Wotans Vergangenheit als Frauenheld auftaucht, die Mutter der Walküren, mit der Wotan ein seltsames Verhältnis aus Faszination (er gehorcht ihr im Rheingold) und Verachtung unterhält (im Siegfried weist er sie zurück). Was ihn jedoch an dieser Rolle interessiert, ist ihre Liebesbeziehung mit Wotan, die erotischer ist, näher und weit komplizenhafter als jene mit Fricka. Im Rheingold erscheint sie in Pelz und glänzend goldgewirktem Kleid, strahlend, trotzdem sie die tiefste Nacht bewohnt, erscheint sie als Lichtgestalt. Als ihrer selbst sichere Frau greift sie voller Lebenskraft und begabt mit sehr großer Sinnlichkeit ein, wie um zu versuchen, ihre alte Liebe Wotan zu retten.

Im Siegfried ist sie zur gleichen Zeit genau dieselbe und eine völlig andere… Auf Zuruf Wotans hin zieht sie sich an, schminkt sich, zögert zwischen verschiedenen Kostümen, und wie ein von ihrem Zuhälter gerufenes Liebchen taucht sie auf aus einem Korridor – vergleichbar den Kulissen eines Theaters (Admiral Palast), aus denen der Regieassistent (was Wotan auch ist) die Schauspieler ruft – um nicht zu sagen einem Stundenhotel (übrigens stiehlt ihre Freundin ihr einigen Schmuck, sobald sie zu Wotan eilt). Die Szene mit dem Wanderer ist einzigartig, eine Szene, die sich wenig später in weit schrecklicherer Weise noch zwischen Siegfried und Brünnhilde wiederholen wird. Am Tisch eines Biergartens sitzend, wird das Paar gewissermaßen miteinander abrechnen, wie ein altes Ehepaar, das sich trennt : Mit einem Wanderer, der auf Ekel erregende Art einen Teller Nudeln frisst und einem Kellner (Seibert, immer wieder) der nicht aufhört, literweise Wein zu servieren. Am Ende dieser Abrechnung allerdings – und Castorf tut nichts anderes als Wagners Dialog des Ex-Paares visuell zu übersetzen – wird die Vulgarität des Wanderers penetrant : „Hinab“, das Wort, mit dem Erda in die Tiefe der Erde gescheucht wird, bezeichnet hier eine Geste geringerer Tiefe, mehr darauf gerichtet, ein letztes Mal die Lust des Gottes zu befriedigen, der zu verkommen droht… eine der stärksten und am besten gelösten Szenen des gesamten Rings. Selten wurde das Verhältnis der beiden Figuren derart chirurgisch aufgezeigt : das reinste Skalpell.

Erda in Rheingold (Nadine Weissmann)

 

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