Baku
In der Walküre taucht eine Referenz auf Baku und die dortigen Ölfelder im Zweiten Weltkrieg auf. Mit Aserbaidschan bezeichnet Castorf den historischen und geografischen Ursprung des Symbols für den Reichtum und den Verlust der Menschlichkeit. Dieser erste Tag des Rings erzählt zugleich von den Rahmenbedingungen, in denen Siegfried zu verstehen ist. Folglich überrascht es nicht im Geringsten, sich zu erinnern, dass die Kampagne der Wehrmacht an der Ostfront zwischen Juli 1942 und Mai 1944 zunächst „Operation Siegfried“ genannt wurde… Dann erinnerte sich Hitler an den hochtrabenden Namen der vorangegangenen Operation in Russland (Barbarossa), sowie an deren enttäuschende Resultate, und begnügte sich fortan mit dem bescheideneren Namen „Fall Blau“.
Als letzte und wichtigste Phase dieses Plans bezeichnete „Operation Edelweiss“ den Versuch, die Erdölfelder des Kaukasus, insbesondere die von Baku zu erobern, um die deutschen Panzer mit Treibstoff zu versorgen. Trotz der Entwicklung eines synthetischen Kraftstoffs wusste sich das Dritte Reich verletzbar und abhängig von neuen Versorgungsquellen. Hitler sah in dieser Schlacht die letzte Chance für das Reich, den Krieg zu gewinnen – die Sowjets aber hatten Zeit, wesentliche Teile der Ölquellen zu sabotieren, was die Produktion erheblich bremste und letztlich zur deutschen Niederlage in der Region führte.
Eine Vielzahl von Details schreiben die drei Akte der Walküre in eine explizit historische Realität ein. Im Zeitraffer wollte Castorf den Übergang vom zaristischen Russland zur Revolution von 1917, daraufhin den Produktivismus unter Stalin und die Sabotage im Zweiten Weltkrieg Revue passieren lassen. Das Paar Fricka-Wotan sind Inbild der aristokratischen Gesellschaft Aserbaidschans, durchs Erdöl reich geworden zögern sie nicht, das im Elend lebende Proletariat gewaltsam zu unterdrücken (illustriert durch Fricka, getragen von einem Arbeiter). Die Revolution ist auf später verschoben, die Walküren machen die Pläne der Arbeiter zunichte, die den Angriff auf die Ölquellen wagen. Später stellen Inschriften und Parolen auf russisch und aserbaidschanisch den Bezug her zur stalinistischen Propaganda für die stetige Steigerung der Produktion im Dienste des Vaterlands.
Im letzten Akt reagiert Wotan auf sein moralisches und psychologisches Scheitern Fricka gegenüber mit einem Manöver, vergleichbar dem strategischen Rückzug der Sowjets, die angesichts der deutschen militärischen Bedrohung vorzogen, die Ölquellen zu opfern. Der Vorhang aus Feuer, der die schlafende Brünnhilde umgibt (in der Inszenierung umzüngeln die Flammen ein immenses Fass…) soll Wotan garantieren, dass seine Lieblingstochter für den größten Helden reserviert ist. Das Unterfangen „Sabotage“ wird in Folge verhängnisvolle Konsequenzen haben… Indem Castorf die narrativen und historischen Fäden miteinander verflicht, ruft er dem Publikum den ewigen Neubeginn ökonomischer Krisen und Kriege in Erinnerung, der in den endgültigen Untergang führt.