Alberich
Dieser außerordentlich Unreife, der mit seiner angeleinten gelben Ente inmitten der Rheintöchter umhertollt, das ist Alberich. Der opportunistische Schürzenjäger hat alles, um Missfallen zu erregen : angefangen bei der vulgären Art, in der er seine Wurst verschlingt und in den Rhein-Pool hechtet (oder ihn umkreist, je nach Jahr), den Körper mit Senf beschmiert… Der vulgäre, neurotische Self-Made Man lässt seiner Freude freien Lauf, als Wotan und Loge ihn am Ende von Rheingold ziehen lassen : „Bin ich nun frei?“… und also nehmen die Dinge ihren Lauf.
In der nordischen Mythologie bezeichnet „Alberich“ buchstäblich den „König der Elfen“, genauer gesagt ist der „Schwarz-Alberich“ „König der schwarzen Elfen“, jener Zwerge, die Nibelheim bevölkern, wie der Wanderer Mime im zweiten Akt des Siegfried erklärt.
"In der Erde Tiefe
tagen die Nibelungen ;
Nibelheim ist ihr Land ;
Schwarzalben sind sie ;
Schwarz-Alberich
hütet' als Herrscher sie einst."
Dem gegenüber werden die „Lichtalben“ oder „Elfen des Lichts“ von Wagner mit den Asen der Edda und den Göttern des germanischen Pantheon gleichgesetzt, mit Wotan an der Spitze, der sich selbst „Licht-Alberich“ nennt :
"Auf wolkigen Höhn
wohnen die Götter :
Walhall heißt ihr Saal.
Lichtalben sind sie ;
Licht-Alberich,
Wotan, waltet der Schar."
Im Gegensatz zu einigen allzu simplen Lesarten des Rings von Wagner, die nach einer schlichten Opposition von Gut und Böse suchen, wahrt Castorf sorgsam die in der Mythologie beschriebene Ähnlichkeit von Alberich und Wotan – samt der von Wagner selbst beabsichtigten Ambiguität. Statt die zwei Gestalten im Modus von Gut und Böse gegenüber zu stellen, zeigt er sie beide umherirrend und flatterhaft, den gleichen Neigungen und Lastern unterworfen.
Wenn Alberich sein Alter Ego im Rheingold heraufbeschwört, so ist es diese, in spöttischem Ton angeprangerte Gemeinsamkeit, die sie letztlich einander naherückt.
"Den Lichtalben lacht jetzt Loge, der list'ge Schelm…"
In Wirklichkeit muss sich eher Alberich vorsehen, schließlich könnte der Raub des Goldes schlicht eine organisierte List seines Rivalen sein. Tatsächlich kehren die Rheintöchter unmittelbar nach der Raubszene im Mercedes Wotans zurück, ganz so als kämen sie von einer Kommandoaktion. So kommt es, dass Alberich in die Falle des Liebesfluchs gerät, den er selbst ausgestoßen hat (oder den auszustoßen man für ihn organisiert hat). Zum einen sehen wir Wotan, Gefangener der auf seinem eigenen Speer eingeritzten Runen, zum andern Alberich, durch seine Erklärung gezwungen, sich niemals mehr Gefühlen der Liebe hinzugeben.
Nachdem er seine Naivität gegenüber den Rheintöchtern hat erkennen lassen, wird Alberich zum autoritären Angeber, der seinen Bruder mit an Sadismus grenzendem Genuss erniedrigt, als dieser seine Sklaventruppe überwacht und den magischen Tarnhelm findet. Der Maulheld verfängt sich jedoch in seiner eigenen Falle und endet im Netz von Wotan und Loge. Seine Befreiung wird ihm Lektion ; Castorf lässt ihn in einem psychologischen Schwenk in Wort und Tat die Seiten wechseln :
"…den Schwarzalben verachtet ihr ewigen Schwelger ! Habt acht ! Habt acht!"
Zweimal gelingt es ihm, der Versuchung der Macht auszuweichen. Er zieht den Status des Wanderers vor, dem nomadischen Wohnwagen seines Bruders Mime ebenso entfliehend wie der protzig vergoldeten Walhalla. Mime muss für seinen unbeholfenen Ehrgeiz bezahlen, während Alberich vorsorglich versucht Hagen fernzusteuern, um Siegfried den Ring zu entreißen. Castorf verleiht Alberich jedoch nicht die Willenskraft, den Sieg davonzutragen und die Welt nach der Götterdämmerung zu beherrschen. Auf der Flucht vor dem heraufziehenden Desaster raunt er seinem Sohn Hagen verlogenste Aufmunterungen zu, packt sogleich seine Sachen und verschwindet mit einem anonymen Callgirl nach oben…
Kann man ihm wirklich vertrauen ?
Die Aufkleber auf dem Koffer verweisen auf eine weite Reise in angenehmer Begleitung, weit weg von der sich ankündigenden Katastrophe. Denkt man an die neuere Geschichte Deutschlands, so mag die Erinnerung an die berühmte, 1917 von General Ludendorff geplante „Operation Alberich“ wieder aufsteigen. Jener strategische Rückzug der deutschen Truppen auf ihre Verteidigungsposition ließ die französische Armee auf die fürchterliche „Siegfriedlinie“ zustürzen, was zu bedeutenden Verlusten führte. Man kann Castorf nicht den Vorwurf machen, das Libretto Wagners mit den historischen Daten durcheinander zu bringen : Die Geschichte der deutschen Kriege enthält bereits etliche explizite Anspielungen auf die Namen von Personen oder Episoden aus dem Ring.