Es ist sonderbar festzustellen, wie wenig Beachtung Castorf dem Accessoire des Kriegers schenkt, jenem erektilen und anschwellendes Symbol der Manneskraft des Helden der nordischen Legenden. Die Geschichte beginnt im ersten Akt der Walküre, wenn der depressive Wehwalt-Siegmund den Fehler begeht, bei seinem ärgsten Feind Zuflucht zu suchen. Dazu gezwungen, sich im Duell zu schlagen, sucht er nach Mitteln, sich aus der Affäre zu ziehen und erinnert sich der Worte seines Vaters :

Ein Schwert verhieß mir der Vater
Ich fänd' es in höchster Not…

Wagner denkt sich nun eine sehr einfache magische Formel aus : Den Namen des Vaters zweimal mit aller Kraft herauszuschreien
Wälse ! Wälse !
Wo ist dein Schwert ?

Von allen Heldentenören gefürchtet, lässt dieser endlose Höhepunkt (( https://www.youtube.com/watch?v=OfNm_KPs5Ak )) auf Schwindel erregenden, absteigenden Oktaven Notung erscheinen. Die Erzählung der Sieglinde offenbart ihm, dass Wotan höchstpersönlich das Schwert in die Esche pflanzte, die in der Mitte des Raumes thront. Auch gibt ihm die Schwester die Gebrauchsanweisung und komplettiert so die Instruktionen des Vaters : „im Gefahrenfall usw.“ Siegmund zieht das Schwert aus dem Baum und gibt ihm den Namen „Notung“.

Die schlichte Verkettung ist ein wohlbekannter literarischer Topos (Merlin stößt Excalibur für Arthur in den Stein usw.). Wie seinerzeit Chéreau umgeht Castorf die Erwartungen und spielt mit der Frustration jenes Teils des Publikums, der gekommen war, um heroische Fantasy zu sehen. Das Schwert ist hier von äußerst klassischer, nahezu banaler Machart, entspricht völlig der Vorstellung, die man aus solchen Rittergeschichten gewinnen kann. Wie in einem Hütchenspiel wird der Blick des Zuschauers auf diverse Orte des Bühnenbildes gelenkt ; das Schwert erscheint in Projektion, dann in der Scheune und schließlich darüber, im Biergarten.

Auch im Siegfried wird Verstecken gespielt, doch diesmal ist das Spielzeug zerbrochen und daher unbrauchbar. Wieder muss beschworen und gefleht werden, um Notung buchstäblich wieder in die Hand zu bekommen. Die Szene in der Schmiede hat nur wenig mit Siegmunds Monolog, mit seinen Ängsten und seinem Zögern zu tun. Das sehr prosaische Hoho ! Hoho ! Hohei ! Hahei ! ist Ebenbild von Siegfrieds psychologischem Profil, und Wagner lässt uns eine Verwandlung sehen, die nicht weniger spektakulär ist als die Metamorphosen Alberichs im Rheingold. Statt beide Hälften wieder zusammenzuschweißen, bevorzugt der Held die radikale Lösung, zerkleinert die Trümmer zu Stahlspänen und schmilzt das ganze Schwert eine zweites Mal ein.

Wo Chéreau eine filigrane Anspielung auf die industrielle Revolution mit ihren Stahlschmieden entwirft, wählt Castorf mit der Parallele Stichwaffe – Schusswaffe eine andere historische Metapher. Plötzlich wendet sich Siegfried von Hammer und Amboss ab, geht zurück in Mimes Wohnwagen und kommt mit Munitionskisten wieder heraus.

Des Vaters Stahl
Fügt sich wohl mir :
Ich selbst schweiße das Schwert…
(Siegfried I,3)

Wenn er Papas (und Opas) Schwert gegen eine Kalaschnikow eintauscht (in einer Kiste mit der Aufschrift НOTУНГ), und diese vorführt wie ein Kind seinen Metallbaukasten, ist er die lebende Illustration eines Bewusstseins, das von politischen Interessen bewaffnet und ferngesteuert wird, die ihn bei weitem überragen. Wir werden nebenbei sehen, wie der Sohn des Siegmund (der Notung seinen Namen gegeben hatte) das Schwert ignoriert. Ihm genügt es, den Namen zu wiederholen, den Mime aus Sieglindes Mund vernommen hat. In der praktischen Umsetzung seiner Idee zieht es Siegfried vor, Fafner mit einer Salve aus der Kalaschnikow zu töten, was moderner und radikaler ist als ein Hieb mit dem Schwert.

Mit dem Kalaschnikow-Schwert inszeniert Castorf den Übergang von einer Epoche zur anderen, verbindet die Generationen, was den Held zum Terroristen werden lässt und die Tat zur finalen Katastrophe. Man kann sich leicht vorstellen, wie Wotan versucht die Fäden zu ziehen, indem er seine Helden über eine Waffe stolpern lässt, die definitiv nichts als Unheil produziert. Der Speer, der Notung zerbrach wird im Gegenzug selbst vom Schwert zerstört. Die Wendung der Situation bringt den Wandel der Charaktere und den Richtungswechsel einer Willenskraft zum Ausdruck, die selbstmörderisch geworden ist.

 

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