Banane (Wende)
Hier haben wir eine Frucht, die man in einem sehr flüchtigen Moment im zweiten Akt der Götterdämmerung erhaschen muss : Zwischen der grossen Chorszene und dem Trio Brünnhilde-Hagen-Gunther schwenkt Patric Seibert am Fuss der Haupttreppe des Bühnenbildes frenetisch eine rote Fahne, während er gierig in eine Banane beißt ; ein Bananen-Gelage könnte man sagen, angesichts der zahlreichen Überreste, die auf den Stufen herumliegen.
Ein weiteres Zeichen, mit dem sich dieser Ring in eine sehr umfassende Zeichengeschichte einfügt, die eine moderne Mythologie Deutschlands, und insbesondere Ostdeutschlands entwirft. Zur Zeit der Wende klagten die Konsumenten in Ostdeutschland darüber, dass es keine oder nur sehr wenige Bananen zu kaufen gäbe. Nun sind aber die Deutschen große Bananen-Konsumenten, die größten Konsumenten Europas. Die Bananen-Frage war so prägnant, dass eine zeitgenössische Karikatur einen Ostdeutschen über die Trümmer der Mauer steigend zeigte, der eine Banane schwenkend ruft „Endlich frei“ (alles in allem „Die Freiheit führt das Volk“ mit Banane statt französischer Fahne). Und tatsächlich führten alle westlichen Supermärkte in Grenznähe, als die „Ossis“ nach dem Fall der Mauer ihre Einkäufe im Westen machten, Bananen im Überfluss und wurden leergeräumt. Der Geschichtsbeobachter Castorf ruft diesen heute vergessenen, dem nicht-deutschen Publikum unbekannten Fakt in Erinnerung, unterstreicht aber zugleich, woran es der Bevölkerung in verschiedenen Momenten der Geschichte mangelte : Kartoffeln während der Blockade, Bananen vor der Wende – Obst und Gemüse, wie in der Götterdämmerung auf dem Lebensmittelladen nahe der Mauer geschrieben steht.