Ganz am Ende der Götterdämmerung zieht ein Detail unsere Aufmerksamkeit auf sich. Während die Welt ins Wanken gerät, wirft Brünnhilde wütend ihren Mantel von sich und erscheint einfach in ihr golddurchwirktes Kleid gehüllt, das im Dunkel flimmert. Sie zieht vor dem monumentalen Bühnenbild entlang, übergießt alles mit Benzin und wirft zudem ein Kartenspiel in die Luft – jene Karten, mit denen sie im ersten Akt beim einleitenden Duett mit Siegfried eine Patience legt.
Woher kommen diese Karten ? Es sind mit Sicherheit die gleichen, die Wotan in dem Moment in der Hand hält, als seine Tochter in der letzten Szene des dritten Aktes der Walküre auf ihn zukommt :

 

BRÜNNHILDE
Soll ich aus Walhall scheiden,
nicht mehr mit dir schaffen und walten,
dem herrischen Manne
gehorchen fortan.
dem feigen Prahler
gib mich nicht preis !
nicht wertlos sei er,
der mich gewinnt.
WOTAN
Von Walvater schiedest du,
nicht wählen darf er für dich.

 

Wotan geht nach hinten, nimmt ein Kartenspiel, mischt es nervös und wirft das Paket in die Luft. Wie um zu sagen „Die Karten sind gemischt, nun ist es an dir, eine zu ziehen… ich wasche meine Hände in Unschuld.“

Zumindest scheinbar ist die Sache klar. Wotan zieht sich aus dem Schicksal seiner Tochter zurück und delegiert die Aufgabe, die Flammenwand zu überwinden an einen Helden, der kommen wird, sie zu erobern. Bei genauerem Nachdenken kann man es zumindest unwahrscheinlich finden, dass sich der Gott der Götter dem Zufall überlässt, mit dieser Geste sein Unvermögen bekennt, das Schicksal seiner Tochter umzulenken.

In der ersten Szene der Götterdämmerung zeigt Frank Castorfs Bühnenbild Siegfried, wie er vor Ungeduld mit den Hufen scharrt bei der Idee, das völlig neue eheliche Heim aufzugeben und andere Heldentaten zu vollbringen. Das Duett entwickelt sich schnell zur Gegenüberstellung zweier Monologe : Während ihr Neffe seine Reise auf dem Rhein vorbereitet spielt Brünnhilde Karten – genauer gesagt übt sie sich in Geduld beim Legen einer „Patience“. Sie gibt drei Karten Siegfried (Runenlehre?), nimmt sie wieder an sich und legt sie vor sich hin, als lese sie die Zukunft daraus. Nicht mehr über das universelle Wissen verfügend, greift sie wie alle Sterblichen auf geeignete Notlösungen zurück, die Zukunft zu erhellen.
Die von einem Spieler gelegte „Patience“, oder „Solitaire“, wurde in den europäischen Salons des 19. Jahrhunderts populär. Brünnhilde wurde von Siegfried befreit, aber wie in Vorahnung des ehelichen Scheiterns langweilt sie sich enorm. Der Gatte ist jünger und treulos – weniger erfahren und weniger „Weise“ als sie. Sie vertreibt die Langeweile mit einem allein gespielten Spiel, plagt sich damit, es ihrem turbulenten Helden beizubringen.

Knuspriges Detail in diesem Detail : Die Engländer nennen dieses Spiel einen „Klondike“ (kann mit „Goldrausch“ übersetzt werden ; nach dem kanadischen Fluss, an dem es Ende des 19.Jahrhunderts zu einem Goldrausch kam). Wie für Alberich im Rheingold beginnt die Suche nach dem Gold – selbst wenn sie wie hier metaphorisch ist – mit dem „Verzicht auf die Liebe“.
Im Moment ihrer Selbstverbrennung wirft Brünnhilde ihr Kartenspiel mit der gleichen desillusionierten wie prophetischen Geste, mit der ihr Vater Wotan sie im Stich gelassen hatte, ins Feuer. So also endet der Schicksals-Poker der aus Brünnhilde ein Opfer gemacht hatte. Dem Willen Wotans war sie unterworfen, jetzt hat sie ihr Leben zurück erobert. Der hinter ihr fallende Vorhang zeigt ihr, dass sie es geschafft hat ihre Freiheit wieder zu erringen, endlich frei…

Ein Würfelwurf niemals tilgt den Zufall

 

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