Mit der Szene der Waltraute verhält es sich wie mit jener der Zwillinge : sie ist ein Muss, eine fast einmalige Erscheinung im Ring (unscheinbar ansonsten zwischen den Walküren beim Ritt in der Walküre). Bei Chéreau hatte die gleiche Sängerin (Gwendolyn Killebrew) beide Partien der Waltraute gesungen, was extrem selten ist, da die Waltraute der Götterdämmerung häufig mit einem Star besetzt wird, die Erzählung der Waltraute ein spezieller „Gesangsmoment“ ist ; wir haben hier Waltraud Meier gesehen oder Brigitte Fassbaender, will heißen die „Schwergewichte“ des Gesangs.

 

Die einzigartige Szene, in der sich die beiden Schwestern zunehmend gewalttätig um den Ring streiten, hat Castorf unter den aufmerksamen Augen Wotans platziert (Kubrick lässt grüßen). Wie Penelope, und aus den gleichen Gründen, wartet Brünnhilde auf den Helden, den sie hat ziehen lassen, auf dass er große Taten vollbringe. Man weiß, was ihm geschehen wird : Die einzige Großtat, mit der er sich wird brüsten können, ist, Brünnhilde vom Felsen zu holen und sie Gunther zurück zu bringen. Der unter die Menschen gefallene Held hat nichts heldenhaftes mehr.

 

Brünnhilde wartet, geschützt durch einen Vorhang in Flammenfarben (!). Anfangs nimmt man einen Fuß wahr, eine Bewegung dahinter, bald öffnet sich der Vorhang über einer Brünnhilde, die auf dem Campingstuhl vor ihrem Wohnwagen Spiegel liest. Eine Szene, die offensichtlich auf verschiedenen Ebenen spielt : Brünnhilde wartet wie eine Frau zu warten hat, und sie wartet in einem läppischen Kontext – Wohnwagen, Campingstuhl – das Läppische ist provisorisch, wie bei einer Frau, die sich nach dem Abwasch auf dem Campingplatz eine Pause gönnt.

 

Wenn Waltraute auftritt, gibt es bereits den Kontrast zwischen der „Hausfrau“ Brünnhilde und der schillernden Waltraute im Goldlamé, die gerade aus einem Walküren-Varieté irgendeines Berliner Theaters gekommen sein könnte. Sie kommt, und mit wilder Castorf'scher Geste – sie hört nicht auf Brünnhilde, nicht auf ihre Freude – versucht sie… den Bogen zu spannen, den Pfeil abzuschießen… kriegerische Jungfrau und fuchsteufelswilde Amazone.

 

Und wie so oft in den großen Dialogen von Castorfs Ring, hören sich die Figuren nicht oder nur sporadisch zu – so zum Beispiel im zweiten Akt der Walküre Wotan und Brünnhilde. Die Szene ist mit furchtbarer Präzision eingestellt, wie ein Theater im Theater. Vor dem Hintergrund des von Christo verhüllten Reichstags mit dem riesigen Gesicht Wotans darauf, scheint der Wohnwagen recht klein und die Figuren noch kleiner zu sein. Dieses kleine Bühnenbild mit seinem Vorhang und seinen zwei Ebenen, Boden der Bühne und Boden des Wohnwagens, ist angefüllt mit Firlefanz, mit Bühnenkostümen wie von einem Zirkusstar, mit Campingstühlen und einem fragilen Hocker, auf dem sich Brünnhilde niederlässt, um ihrer Schwester zuzuhören.

 

Keine neuen Elemente verändern unseren Blick auf die erwartete Kultszene. Die gewaltsame Reaktion Brünnhildes auf die Rede Waltrautes wird behandelt wie jene, die wir bereits im Siegfried gesehen haben : Kleider werden zerrissen, der Vorhang der sie beschützte fällt, Gegenstände und Campingstühle fliegen herum. Die Anstrengung, den Ring an sich zu bringen, hier zum Scheitern verurteilt, ist als Warnung zu verstehen, kündigt unter den gleichen Umständen und im gleichen Rahmen (dem Wohnwagen) das erfolgreiche Bemühen von Gunther-Siegfried an. Waltraute aber verschwindet. Ihre Initiative ist missglückt, und ihr Scheitern war zweifellos von Wotan gewollt, dessen Blick auf der riesigen Videoprojektion niemals beunruhigt oder angsterfüllt ist, sondern vielmehr ironisch. In dieser Inszenierung ist Wotan der höchste Demiurg, der seit der Walküre geduldig sein eigenes Ende organisiert. Das autonome Unterfangen der Waltraute (sie denkt, ohne Wissen Wotans zu handeln) ist nur das Zeichen dafür, dass alle Figuren handeln ohne zu wissen, dass die Würfel lange schon gefallen sind.

 

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