Nun also zum Öl… ((Brennbares natürliches Mineralöl mit charakteristischem Geruch (…),das aus Kohlenwasserstoff gebildet und in erster Linie als Energiequelle genutzt wird. Das Erdöl entstammt der Zersetzung tierischer Organismen unter Luftabschluss und in Anwesenheit von Wasser.

[Übersetzung des französischsprachigen Artikels] http://www.cnrtl.fr/definition/petrolatum))

 Wo Chéreau und Peduzzi 1976 die Verbindung zur industriellen Revolution herstellten und so eine politische Sichtweise des Rings schufen, nehmen Castorf und Denić den Stab wieder auf, dehnen das Prisma auf den polit-ökonomischen Bereich aus, den die Ölförderung im 20. Jahrhundert schuf und der bis auf den heutigen Tag zentral ist. Als politischer wie ideologischer Treibstoff spielt das (schwarze) Gold die Hauptrolle in dieser Tetralogie. Castorfs Lexikologie lädt dazu ein, nicht zwischen Psychologie und Chemie zu unterscheiden, wir bemerken, dass das Erdöl am Vorabend sowie tagein, tagaus über alle drei Festspieltage hinweg im Ring präsent ist – sei es in „roher“ oder in „raffinierter“ Form. Es geht darum, unsere Aufmerksamkeit auf die Omnipräsenz des Öls und die krankhafte Abhängigkeit der politischen Anführer zu ziehen. Der Ring legt den Akzent zugleich auf die indirekten und dramatischen Langzeitfolgen der fossilen Energiewirtschaft wie auf den „Verfall“ der Welt und der Menschheit. Das Öl besudelt jene, die es in ihre Gewalt zu bringen suchen, mit seiner ansteckenden und moralisch herabwürdigenden Klebrigkeit. Im Rheingold zahlt Mime den Preis dafür, das Gesicht als Zeichen der Erniedrigung mit Motoröl beschmiert.

 Die Exkremente des Teufels ((Berühmter Ausdruck des Venezolaners Juan Pablo Pérez Alfonzo (1903–1979), einer der Begründer der Organisation erdölexportiender Länder (OPEC).)) verbergen sich gleichfalls im Plastik und seinen Produkten, etwa im kunterbunten Zelluloid-Universum des Golden Motel, dem Bühnenbild des Rheingold. Ob Kopf, die Tankstelle, oder Zahl, die schäbigen Zimmer mit ihren Prostituierten und Hehlereien. Ob als schlüpfriges Schmiermittel oder als sozio-ökonomische Beziehungen erleichterndes Agens, das Öl dient der Verkettung von Peripetien, die dieses Vorspiel antreiben, als Bindeglied (und Bindemittel). Nach der Apologie von Ramsch und Kohle geht es Castorf darum, ein Schlaglicht auf den Ursprung des Fluchs vom schwarzen Gold und dessen Konsequenzen für die moderne Geopolitik zu werfen : den Beginn der Ölförderung in Aserbaidschan und die Geschichte der Ölfelder von Baku im Zuge der Operation Edelweiss im Kaukasuskrieg von 1942. Indem er Wotan als Besitzer der Ölquellen umgeben von einem Schwarm Walküren zeigt, die für die Herrschaft von Ordnung und Privilegien sorgen, unterstreicht er die Rolle des Erdöls für den sozialen Verfall und das Aufkommen eines lokalen, neureichen Establishments.

 Die Walküre fügt diesem Verfall eine Vielzahl ebenso gewalttätiger wie direkter Anspielungen auf die sexuelle Penetration hinzu : Der Speer Wotans oder das ins Ölfass geschobene Schwert Notung, die Filmaufnahmen der Bohrungen mit Ejakulation, dem Hochschießen des Öls. Castorf stellt ganz klar die Erinnerung an das vom Vater in dem Stamm getriebene Schwert (die Bohrung als Vergewaltigung der Natur) der Geste des Sohnes gegenüber, der mit dem Herausreißen das Öl zur gleichen Zeit hervorschießen lässt wie den freudvoll genüsslichen Schrei der Schwester (Anja Kampe gehört zu jener Kategorie Sieglinde furioso, die 1966 mit der Inszenierung von Wieland Wagner und Karl Böhm von Léonie Rysanek eröffnet wurde.

 Weitere vielsagende Elemente : Die Anwesenheit der Schienen für die Kamerafahrten im Rheingold und der Führungsschienen für die Pferdekopfpumpe in der Walküre (siehe Artikel Grane) spielt auf den Wirtschaftskrieg zwischen Erdöl und Kohle an, der letztlich erst bei Kriegsende zum Vorteil des ersteren kippte. Darüber hinaus sehen wir in einem Film wie abhängig das aserbaidschanische Öl vom Transport auf der Schiene war… Im Siegfried bemerken wir die riesige rot-gelbe Neon-Leuchtreklame MINOL, die in jenem Moment in der Vertikalen erstrahlt, wenn das Bühnenbild von der Felswand des Mount Rushmore zum Alexanderplatz dreht. VEB-MINOL, der „volkseigene Betrieb“ MINOL, eines der großen Staatsunternehmen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), war 1956 aus der Fusion der Deutschen Kraftstoff- und Mineralölzentrale (DKMZ) mit der deutsch-russischen Naphta AG / VEB Kraftstoff-Vertrieb entstanden.

 Die Götterdämmerung bietet Referenzen im Überfluss, angefangen mit der gigantischen Neon-Leuchtschrift „Buna PLASTE und ELASTE aus Schkopau“ (siehe den ausführlichen Artikel). Mit der Anspielung auf den petrochemischen Komplex in Sachsen-Anhalt wird der globalisierte Fluch des Öls zum x‑ten Male durchbuchstabiert. Diese allerletzte Etappe verlängert und beschließt die Abfolge vielgestaltiger Orte, von der amerikanischen Tankstelle hin zu den aserbaidschanischen Ölquellen. Beide Seiten der Mauer, die New Yorker Börse wie „Plaste und Elaste“, verweisen auf die gleiche Wirklichkeit ; die wahre Macht besteht in der Kontrolle der Erdölversorgung zwecks Sicherung der Produktion, sowie des Konsums von Kraftstoff und seiner Folgeerzeugnisse : Plastik, Gummi usw. Nach Castorf werden die ideologischen und politischen Fäden im Kalten Krieg von der Erdölwirtschaft gezogen. Versäumen wir nicht, einen Zwischenstopp bei jener Plastikplane zu machen, die als metaphorische Verpackung und Geschenkpapier dient. Im dritten Akt des Siegfried ist Brünnhildes Körper darin „verzehrbereit“ verpackt, es folgen die Möbel und die topmodische Isetta, die Hagen Gutrune schenkt, und zu guter Letzt die Leiche Siegfrieds, alsbald von Öl bedeckt und „verzehrbereit“. Dieses Accessoire ist letzten Endes nur ein zusätzliches Bilderrätsel, das auf indirekte Art zeigt, wie das Öl als moderne Entsprechung des Wagner'schen Goldes den Menschen die Symbole ihres Erfolgs diktiert.

 In der Götterdämmerung eskaliert die Vorführung : Castorf ersetzt die spektakuläre (und erwartete) finale Feuersbrunst durch die Explosion der Börsenkurse…

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