Man kann sich die Präsenz der drei Nornen im Vorspiel der Götterdämmerung leicht als zugleich symmetrisches wie gewendetes Bild der drei Rheintöchter zu Beginn des Rheingold vorstellen : Drei Töchter der Erde (Erda) gegenüber drei Flussnymphen, Töchtern des Stroms. Wagner hält sich nicht lange mit Details auf, gibt ihnen eine vage Ähnlichkeit mit den Parzen, die den Lebensfaden spinnen, entrollen und durchtrennen. Im Gegensatz zur mythologischen Tradition und ihren Kolleginnen, den Flussnymphen, bleiben die Wagner'schen Nornen anonym. Die Reihenfolge ihres Erscheinens scheidet die drei Kategorien der Erzählungen, die sie entwickeln : Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Wie die Spinnerinnen im Fliegenden Holländer singend der Sehnsucht entfliehn, so spinnen die Nornen der Götterdämmerung erzählenderweise. Im einen wie im anderen Fall geht es darum, die Ursprungsszene des Dramas zu erzählen – eine Szene „aus dem Off“, verbalisiert und nicht repräsentiert. Der „narrative Faden“, den sich die Nornen wie ein Mikro beim Gesangsfestival weiterreichen, ist eine Emanation von Erdas Denken. Von diesem Gesichtspunkt aus sind die drei Nornen für sie was die Walküren dem Wotan sind : Fortsetzung und Umsetzung eines göttlichen Denkens.

Bei ihrem Erscheinen stellt sich Castorf die Nornen zunächst bedeckt von Plastikplanen vor, aus denen sie sich befreien, daraufhin logischerweise als Priesterinnen im Dienste der Religion des Okkulten und des Ursprungs : des Voodoo. Einen aus einem Gewirr verschiedener Opfergaben gemachten, mysteriösen Altar umringend, der von einem Totenschädel und einem Videobildschirm überragt wird, führen die Nornen obskure und blutige Opferungen durch ((Das Castorf'sche Detail erinnert auf seltsame Art an die Beschreibung der Nornen in der uralten und berühmten isländischen Saga von der Brenna Njálls : „Unser Schussfaden ist aus menschlichen Eingeweiden gemacht und unsere Gewichte sind Totenschädel. Blutgetränkte Speere sind unser Handwerk, Pfeile sind unsere Weberschiffchen, mit Schwertern weben wir das Tuch der Kämpfe.“)). Schwer zu sagen, ob es darum geht, jemanden mit einem Fluch zu belegen oder im Gegenteil zu versuchen, den bösen Blick fernzuhalten. In der Kammer, in dem sich der Altar mit seinem Sammelsurium befindet (es gibt sogar eine Jungfrau Maria) lungern im zweiten Akt auch Hagen und Alberich herum, die in regelmäßigen Abständen zurückkehren, um eine Flüssigkeit zu trinken und sie über den Opfergaben wieder auszuspucken. Das Voodoo-Ritual fungiert als verbindendes Element zwischen den Nornen und Hagen-Alberich. Die Töchter der Erda und das Paar Vater-Sohn haben die Gemeinsamkeit, dem Schoß der Erde zu entstammen, und so teilen sie die gleichen geheimen Riten. Die Worte, die sie beim Weiterreichen des Fadens wiederholen, erschallen wie ein merkwürdiger Zauber : „Weißt du, wie das wird?“ Eine magische Formel die, dem Beispiel der Runen folgend, die Vergangenheit ans Licht bringt, von der Gegenwart erzählt und die Zukunft erahnen lässt.

Im zweiten Jahr erscheint in Castorfs Ring ein wichtiges Detail. Die drei Nornen tragen jeweils ein Kleid in verschiedener Farbe : schwarz, rot und… gold. Wie sie mit menschlichen Gebeinen hantieren, sie in ihren blutbeschmierten Mündern tragen, bilden die drei Frauen eine seltsame deutsche Fahne, deren emblematische Präsenz in einem Spiel der Spiegelungen auf die dreifarbigen Referenzen zurückverweist, in deren Mitte die Rheintöchter ihre Kreise ziehen (Sonnenschirm, Liegestühle etc.). Das Voodoo-Ritual spielt auf Figuren der unheilvollen Sekte aus dem kinematographischen Schinken „Die drei goldenen Schlangen“ an ((Siehe Artikel „Trashfilme“)), dessen Plakat an der Mauer im Hintergrund prangt. Der zerreißende Faden führt zurück zum Vertragsspeer, den Siegfried zerbricht… ausreichende Zeichen einer Niederlage, die hier ausgesprochen und angekündigt wird : eine verhängnisvolle Ἀνάγκη (Ananke), die keinen anderen Ausweg kennt als das Ende der Welt, die Ragnarök der nordischen Mythen. Der Macht beraubt, versinken die Nornen im Schoß der Erde, um dort Erda wiederzufinden. Die Zeit bleibt stehen, es gibt kein gestern, heute, morgen mehr.

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