Neben meinem Baum
lebte ich glücklich
Hätte ich mich nie von meinem Baum entfernt…
Neben meinem Baum
lebte ich glücklich
Hätte ich ihn nie aus den Augen verloren…

Der Refrain des Liedes „Auprès de mon arbre“ von George Brassens ((https://www.youtube.com/watch?v=Q3-_8SblRIQ)) hätte Wotan inspirieren können, sich auf den Baum zu stützen, der die Welt trägt und den er von Anfang an verrät. Tatsächlich gibt es zahlreiche Interpretationen : Baum der Erkenntnis, Weltenbaum, Weltenachse… Irminsul oder Yggdrasil ist in der nordischen Mythologie mit der Esche assoziiert, als Symbol der Unsterblichkeit, Trägerin der Erde und Verbindung zwischen den drei Ebenen des Kosmos. Vom Speer durchbohrt hängt Odin (Wotan) neun Tage und neun Nächte lang an einem Ast von Yggdrasil, woraufhin er den Sinn der Runen erkennt. Als Inbegriff von Stabilität und Kraft diente die Esche insbesondere zur Herstellung von Masten und Speeren. Der Librettoschreiber Wagner lehnt sich sehr frei an den skandinavischen Mythos an, wenn er sich vorstellt, wie Wotan seinen Vertragsspeer aus einem Ast herstellt, den er der Weltenesche ausgerissen hat.

Ich verließ meine Eiche,
gottesjämmerlich,
mein Kumpel, die Eiche,
mein anderes Ich.
Wir waren aus demselben Holz,
derb und grob bis zum Erröten,
aus dem man so alles bolzt,
na ja, vielleicht keine Flöten

Jetzt stehen dort Eschen,
aus Judäa kommen sie her,
Holz nicht zum Verdreschen.

Indem er die Esche schändet, begeht der Gott der Götter eine Art Erbsünde, die zur Verkümmerung des Baumes und seinem eigenen Ende führt. Erda hatte ihn gewarnt, aber Wotan hatte ihr keine Beachtung geschenkt. Leichtfertig und machthungrig „lebte er glücklich“, doch verließ ihn sein Glück, als er die Macht in der Beherrschung der Natur suchte (ganz wie die Menschen, die Castorf in ihrem ungeheuren Durst nach Öl in Szene setzt).

Kehren wir zu Esche und Speer in ihrer recht offenkundigen Bedeutung zurück : Als Achse und Stütze des Universums begründen und befruchten sie das anfängliche Chaos. In altem Isländisch Gungnir genannt ist der Speer Odins berühmt dafür, dass man ihn im Fluge nicht aufhalten kann, dass er niemals sein Ziel verfehlt und stets in die Hand des Werfers zurückkehrt. Der Speer steht metonymisch für die Esche, phallisches Symbol der Macht, der politischen und sexuellen Autorität.

Frank Castorf lässt uns den Vertragsspeer nicht sehen, er zieht vor, das berühmte Requisit beiseite zu lassen. Zweifellos subtiler entscheidet er sich, stattdessen die Esche zu zeigen, die das Gros der Regisseure zumeist vergisst. Der Weltenbaum erscheint im Rheingold in ironisch gewendeter Form : Ein Wäscheständer neben dem Rhein-Pool im Garten…

Die Rheintöchter sind, wie im Ring Chéreaus, drei „Girls“ mit recht wahlloser Moral, die sich über Alberich wie über einen aufdringlichen Kunden amüsieren. Vergessen wir nicht, dass das Golden Motel, hinter seiner anonymen Fassade der Tankstelle alles in allem ein Freudenhaus ist. Als sich der Vorhang hebt, sind die drei Schönheiten damit befasst, ihre wahlweise roten, schwarzen und gelben Schlüpfer ((Siehe auch Artikel Deutschland))[2] auf dem Wäscheständer zu trocknen. Es ist nicht weiter von Belang, dass Castorf uns nicht zeigt, wie sie im Pool baden ; man kann leicht die Art der „Erkenntnis“ erraten, die von den Ästen des stilisierten Accessoires hängt, diesem Baum der Halbweltläufigen. Dem Symbol untreu werden, um es besser erkennbar zu machen, es inbegriffen zeigen im unpassend scheinenden Element – so gelingt Castorf die Heldentat, die Beziehungen zwischen Macht und Politik auf mehreren Bedeutungsebenen zu beleuchten : Macht = Herrschaft = Sex = Erkenntnis usw.

 

 

 

 

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