Hagen
Zusammen mit den Gibichungen ist er eine der drei neuen Figuren, die in der Götterdämmerung auftauchen. Den Nachkommen Wotans entsprechen die Nachkommen Alberichs, von denen der Ring nicht spricht, aber so einfach ist deren Geschichte nicht : Hagen war kein glückliches Kind. Wir wissen das, weil er selbst es sagt. Castorf hat diese verborgene Seite Hagens gespürt, der mit Sicherheit Alberichs Kind ist, aber liebevoll ; er liebt seine Mutter. Ein Hagen, dessen Schwächen ihn zu einer Figur auf halbem Weg zwischen vollkommen bösartig und schon-auch-nett machen. Gegenüber den Gibichungen, den beiden Naivlingen, ist er der schlaue Kopf, der sich die Falle ausdenkt, mit der er Siegfried zur Strecke bringen wird, aber er ist es auch, der (ganz wie Siegfried übrigens) programmiert ist, den Ring zu erobern.
Bei Castorf wird er 2013 und 2014 vom blassen Attila Jun verkörpert, der aber als Kennzeichen den Irokesenschnitt eines Punk trägt, mit dem die Figur in den Videos noch immer protzt, den aber sein weit weniger farbloser Nachfolger Stephen Milling (2015–2016) nicht mehr trägt… Diese Frisur macht aus ihm eine isolierte Figur, speziell, vage schamanisch. Der Hagen Castorfs ist in Kontakt mit den dunklen Kräften des Voodoo und im Einklang mit seinem stark erdverbundenen Ursprung. Als er wie sein Vater Alberich und die Nornen, Töchter der Erda, die Kammer besucht, in der das Voodoo-Ritual vorbereitet wird, macht er die gleiche Geste wie sie und spuckt eine mysteriöse Flüssigkeit auf die Opfergaben.
Auch ist er der einzige, der eine Stärke repräsentiert, jene der Menge, der Partisanen, die handeln, weil sie hungrig sind : Die Szene erinnert ein wenig an den Ring von Jürgen Flimm (2000–2004), von dem man mit gutem Grund wenig spricht – so sehr hat er einen zweiten Aufguss verschiedener früherer Ring-Inszenierungen gemacht, in dem die Anhänger Hagens mit Fahne und Spruchband zum demonstrieren erscheinen. Als Vorspiel zur berühmten Szene der Versammlung der Mannen im zweiten Akt der Götterdämmerung werden Hagens Aufrufe durch finstere Lichtverhältnisse und das Bild Patric Seiberts hervorgehoben, der hinter dem Tresen seine (langen) Messer wetzt.
Nach dem Mord an Siegfried (mit dem Baseballschläger, nicht mit dem Speer, den er zur Schau gestellt hatte) sehen wir ihn auf dem Bildschirm lange durch einen Wald laufen, wie in Kommunion mit einer wilden, doch nicht feindlichen Natur.
Zutiefst verächtlich gegenüber den beiden Gibichungen, gegen Gunther wie Gutrune, der er, wie um sie zu kaufen, die berühmte Isetta anbietet – deren Körper er jedoch nicht verschmäht, auch wenn er den Geist verachtet. Er scheint die beiden mehr als Siegfried zu verabscheuen, von dem er – ohne Erfolg – nur den Ring will. Aber auch dort scheitert er beim Versuch, ihn unter dem brennenden Fass hervorzuholen, doch er ist nicht Siegfried und lacht nicht über die Flammen, nicht einmal für den Ring, den er vergeblich vor dem Feuer zu retten sucht, in das die Rheintöchter ihn geworfen hatten.
Am Ende des Rings bleibt Alberich – dies der letzte, so starke Anblick im Ring Kupfers. Castorf zieht es vor, sich Alberich auf dem Weg zu neuen Horizonten vorzustellen, Hagen und die Rheintöchter hinter sich lassend, die voller Überdruss den Ring betrachten, der in einem Ölfass von den Flammen verzehrt wird. Hagen hatte alles enden lassen, ohne irgend einen Einfluss auf die Ereignisse zu nehmen. Auf dem Bildschirm, wo sich die Geschichte wie im Traum abspielt, sehen wir die nachdenklichen Rheintöchter vor einer Wasserfläche (der Rhein?). Zur gleichen Zeit, da der Fluch des Rings sein Ende findet, während der Kadaver Hagens in aller Ruhe vorbeitreibt, stirbt dort eine Spinne in der Glut, wie eine posthume Ehrerweisung an eine Person, die Castorf, der wohltuenden Ambiguität des Theaters den Vorzug gebend, nicht entschlüsselt.