Das Erscheinen Siegfrieds in Begleitung seines Bären ist eine ebenso berühmte wie emblematische Szene aus dem Bilderalbum von Wagners Ring. Kaum zu bändigen und vom jugendlichen Siegfried an der Leine gehalten, der sich mit seinem Lehrmeister einen Scherz erlauben will, springt der Bär auf die Bühne. Traditionellerweise gehen wir von der Präsenz einer in ein Tierfell gekleideten Figur aus, was einen wenn nicht grotesken, so zumindest verstörenden Effekt hat. Frank Castorf gelingt das doppelte Meisterstück, das Fell des Bären abzu schütteln ohne ihn zu töten ; er umschifft das Hindernis mit Bravour und verwandelt die unliebsame Last in einem Geistesblitz. Siegfried kommt auf die Bühne gerast, führt an der Leine… einen Mann (Patric Seibert). Den trivialen Aspekt des Tierkostüms unterdrückend, nimmt er seinen Kritikern den Wind aus den Segeln und zeigt, was das Publikum weiß, aber sich zu sehen weigert. Das entspricht einer Zauberei im Theater, den Künsten des Jahrmarkts, weckt die Erinnerung an den Gaukler… mit seinem Tanzbären. Wo ist uns das Fell des Bären begegnet ? In der vorangegangenen Episode versteckt sich Wotan darunter und spielt den Bären, um Brünnhilde in der gewichtigen Szene des dritten Aktes Angst einzujagen. Im Siegfried sehen wir einen unbeholfenen Bären, die Darstellung des Schauspielers betont seine ungehobelte, primitive Seite. Entgegen aller Erwartung dressiert Siegfried ihn nicht mit Knüppelschlägen ; der Bär geht seiner Beschäftigung nach und entdeckt – o Wunder – in Mimes Büchern das marxistisch-leninistische Denken. Sogleich verwandelt sich das Tier in ein zu Intellekt und Zartgefühl begabtes Wesen… einen guten Koch zudem, was sich auch in der Szene der Schmiede zeigt (ein Dank an Chereau).

 

Ganz am Ende des ersten Aktes taucht er wieder auf, seltsam ausstaffiert mit Hochzeitsschleier und Stöckelschuhen macht er seinem Peiniger schöne Augen, kaum dass dieser Notung geschmiedet hat. Zum Helden geworden wird Siegfried liebenswert, gewissermaßen zum Sex-Symbol, in das alle sich verlieben, die Menschen wie die Tiere. Der Bär ist das eine wie das andere. Die Geschichte des Bärenbändigers unterstreicht die Schändung des Naturzustandes durch die Erziehung – erste Bedingung, um die soziale Leiter zu erklimmen und Macht zu erlangen, aber auch erste Bedingung des Absturzes. Die Art und Weise, in der Castorf die Szene der Schmiede umsetzt scheint zu zeigen, dass der Fanatismus aus einer intellektuellen Perversion geboren wird : Der Bär bläst in die Glut eines Autodafé während Siegfried Notung durch zwei Waffenkisten ersetzt.

Fügen wir dem noch zwei unscheinbarere, scherzhafte Referenzen auf den Bären hinzu. Erstere steckt in der Anwesenheit von Theodore Roosevelt auf dem echten Mount Rushmore… dem der berühmte „Teddybär“ seinen Namen verdankt. Die zweite findet sich in Berlin, dem das Säugetier seit Albrecht I. (1100–1170), Askanier und Markgraf von Brandenburg, als Wappentier dient. Der einflussreiche Adlige des Heiligen Römischen Reiches wurde auch Albrecht der Bär genannt.

Fassen wir zusammen :

  • Im Rheingold sehen wir vor der Tankstelle einen Verkaufsständer mit Kartoffeln und Plüschbären (die Fafner misshandelt).
  • In der Walküre schlüpft Wotan unter ein Bärenfell, um Brünnhilde zu ängstigen.
  • Im Siegfried warten wir auf den Bären, doch es erscheint der Seibert-Bär.
  • In der Götterdämmerung zeigt ein winziges Plakat in der „Döner Box“ die türkische Fahne neben dem Wappen des Berliner Bären.

Der kleine Bär, das „Bärlein“, zeigt seine Schnauze über die gesamte Länge der Tetralogie – jener Oper jenseits der Norm, die zugleich eine liebevolle Hommage Castorfs an seine Stadt ist.

 

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